Wie ESG-Kriterien Transaktions­prozesse verändern

Wie ESG-Kriterien Transaktionsprozesse verändern

Bei Immobilientransaktionen im Gewerbe- und Wohnbereich liefern bislang die technische Bewertung eines Objekts im Rahmen einer Technical Due Diligence (TDD) oder einer Environmental Due Diligence (EDD) sowie die rechtliche Due Diligence (LDD)-Beratung die wichtigste Datengrundlage für eine Investitionsentscheidung. Doch nun wird der Ruf nach einer Erweiterung der Bewertungen auf Basis der ESG-Kriterien (Environmental, Social and Governance) als Entscheidungsgrundlage immer lauter, in denen Umwelt und Soziales sowie Unternehmensführung stärker Berücksichtigung finden sollen.

Nachhaltigkeit im Fokus

Dafür gibt es zwei handfeste Gründe: Waren bislang Risiko und Rendite für Investoren die wichtigsten Kennzahlen für den Kauf einer Immobilie, so tritt jetzt der Aspekt Nachhaltigkeit wesentlich deutlicher in den Vordergrund. Ursache dafür sind die geplanten Maßnahmen der Europäischen Union zum Aufbau eines nachhaltigen Finanzsystems (Aktionsplan „Sustainable Finance“). Die geplanten gesetzlichen Regelungen werden ab dem kommenden Jahr die Immobilienbranche insgesamt, wenn auch mit unterschiedlichem Fokus in verschiedenen Bereichen, zum Umdenken und Handeln zwingen. Die Anforderungen des ESG-Gesamtpakets werden zunächst vor allem institutionelle Investoren betreffen. Doch auch für Projektentwickler und Dienstleister werden ESG-Teilaspekte im Rahmen von Transaktionsprozessen eine deutlich größere Rolle spielen. Denn in Bezug auf Nachhaltigkeit, insbesondere bei Bestandsimmobilien, besteht ab dem kommenden Jahr Handlungsdruck. Europa soll nach dem Willen der EU-Kommission bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Demzufolge soll in einem ersten Schritt der CO₂-Ausstoß bis 2030 gegenüber den Werten von 1990 um 55 Prozent reduziert werden.

Laut Daten der Europäischen Kommission machen Gebäude rund 40 Prozent des Energieverbrauchs und 36 Prozent der CO2-Emissionen in der EU aus. Nicht zuletzt deshalb steigt auch aufseiten der Investoren das Bedürfnis, zunehmend in Objekte zu investieren, die zeitgemäße bzw. zukunftsorientierte Standards in Bezug auf den CO₂-Ausstoß, Energieeffizienz und Ressourcenverbrauch des Gebäudes erfüllen. Die reine CO₂-Betrachtung hat sich schon seit Längerem sich in Form von Materialdatenbanken und Betriebskennwerten etabliert. Sie wird jedoch durch die unter ESG zusammengefassten Kriterien um Aspekte ergänzt, die die soziale Verantwortung des Unternehmens und die Unternehmenspolitik berücksichtigen. Es ist jedoch aktuell fraglich, wie diese Forderungen im Rahmen der oftmals sehr kurzfristig angelegten Transaktionsprozesse sinnvoll umgesetzt werden können.

Von der TDD und EDD zur ESGDD

Eine TDD, wie sie heute sinnvollerweise durchgeführt wird, dokumentiert bereits zahlreiche Daten und Fakten zu Emissionen, Energieverbrauch sowie Lösungsvorschläge zu einer nachhaltigen Optimierung. In Kombination mit einer EDD, in die zudem Aspekte zum Thema Gesundheit und Sicherheit oder Gefahrstoffen gemäß den rechtlichen Anforderungen einfließen, kann bereits ein umfassendes Bild einer Immobilie dargestellt werden. Um eine ganzheitliche Betrachtung nach ESG-Kriterien zu erreichen, ist es demnach auf der einen Seite notwendig, die zu bewertenden Aspekte von TDD und EDD grundsätzlich in einer neuen, komplexeren und den Anforderungen an Nachhaltigkeit entsprechenden Form einer Due-Diligence-Prüfung zu bündeln. Auf der anderen Seite ist die klassische TDD um ESG-Aspekte zu erweitern, um Nachhaltigkeits-Risiken bei Transaktionen zukünftig sinnvoll bewerten zu können. Hier wird die Expertise spezialisierter Architekten, Ingenieure und Fachberater zukünftig zunehmend gefragt sein. Denn Investoren und Unternehmen werden mehr Informationen als noch heute benötigen, um nachhaltige Anlagen besser identifizieren zu können. Dies wird zur Folge haben, dass die Kosten (Honorare) für die entsprechenden technischen Bewertungen steigen, die Berichte gleichzeitig jedoch auch einen wertvollen Beitrag und Mehrwert liefern, indem sie die Wege aufzeigen, um die entsprechenden Immobilien, insbesondere im Bestand, in Bezug auf Nachhaltigkeit fit zu machen. Bei neueren Gebäuden können eine BREEAM- oder LEED-Zertifizierung oder vergleichbare Maßnahmen Investoren Sicherheit in Bezug auf die Wertsteigerungspotenziale einer Immobilie bieten. Auch eine Zertifizierung im Bestand ist heute mit den gegebenen Instrumenten realisierbar, stellt jedoch einen wesentlich größeren Aufwand dar. Die Ankaufsprüfung um ESG Kriterien zu erweitern, hilft dem Investor in der Ankaufsentscheidung und kann die Grundlage für eine Bestandszertifizierung darstellen.

Mehraufwand, der sich lohnen kann

Aus diesen Gründen werden nicht nur institutionelle Investoren, bei denen das Thema ESG schon länger eine wichtige Rolle spielt, sondern alle an Transaktionsprozessen beteiligten Unternehmen spätestens im Frühjahr 2021 das Thema ESG auf ihre Agenda setzen müssen. Dabei gilt es auch, die Halter von Bestandsimmobilien für dieses Thema zu sensibilisieren. Zudem müssen ESG-Faktoren stärker in die Bewertungsprozesse und Berichtsformen integriert werden. Dies wird in vielen Unternehmen, die an diesen Prozessen beteiligt sind, zunächst zu einem deutlichen Mehraufwand führen, der sich aber mittelfristig auszahlen wird. Denn positive ESG-Bewertungen werden zukünftig ein zentrales Kriterium für Investitionsentscheidungen sein, wohingegen negative Ergebnisse eine Abwertung des Immobilienwertes mit sich bringen dürften. Dieses Szenario könnte im Umkehrschluss auch dazu führen, dass Bestandsimmobilien auf der Basis der Bewertungen von technischen und ESG-Parametern verstärkt instandgehalten oder revitalisiert werden, um ihren Wert angesichts steigender Nachhaltigkeits-Anforderungen längerfristig zu erhalten und damit Risiken für das Portfolio zu minimieren. Deshalb gilt es, sich jetzt intensiv mit dem Thema ESG auseinanderzusetzen und in die eigenen Prozesse zu integrieren. Und das nicht nur, um auf die kommenden gesetzlichen Regulierungen vorbereitet zu sein. Die Implementierung von ESG-Kriterien in Transaktionsprozesse ist vielmehr ein sinnvoller, notwendiger und konsequenter Weg, damit auch die Immobilienwirtschaft angesichts der enormen Herausforderungen durch den Klimawandel ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft leisten kann.